Letzte Aktualisierung 23. Mai 2022

Als sie mit mir sprach sagte sie immer wieder „Ich kann nicht fassen, dass ich das gerade mache!“ Sie wirkte sehr aufgeregt, nervös und die Sätze sprudelten nur so aus ihr heraus. Immer wieder liefen ihr die Tränen. Sie sagte: „Ich weiß, dass ich mir dringend helfen lassen sollte…“ und während sie den Kloß herunterschluckte fügte sie hinzu „… doch ich kann es nicht!“

Ich telefonierte mit einer gestandenen Frau. Eine leitende Führungskraft mit einer tollen Karriere, die immer ihren Weg gegangen ist und die ihr Ding gemacht hat. In ihrem Job hat sie alles gegeben und im Laufe der letzten zwei Jahre ist sie mehrmals über ihre Grenzen hinausgegangen. Immer wieder weinte sie und sagte „Ich kann nicht mehr!“ und „So kann es nicht weitergehen!“

Wenn Hilfe annehmen eine Schwäche ist

Was mich in diesem Telefonat sehr bewegt hat war die Tatsache, dass ich sie besser verstand als mir lieb war. Einerseits weiß sie, dass sie aus der Situation, in der sie gerade steckt, alleine nicht mehr herausfindet und Angst davor hat, völlig zusammenzubrechen. Andererseits gelingt es ihr nicht, über ihren eigenen Schatten zu springen, sich wirklich Hilfe zu nehmen – in diesem Fall in Form von einem Coaching. In ihren Gedanken taucht immer wieder der gleiche Satz auf: „Ich habe IMMER alles alleine geschafft!“

Ich kann sie sooo gut verstehen! Alle Sätze, alle Zweifel, die sie aussprach waren auch meine – damals um 2002 herum, als ich im Burnout gelandet bin. Auch ich glaubte, dass ich das alleine wieder hinkriege: Mit Angstzuständen, Panikattacken und einer Depression. Dabei haben die gleichen Gedanken mich in genau diese Situation hinein bugsiert. Auch ich war leitende Führungskraft und war der Meinung, dass ich alles alleine schaffen müsste. Und natürlich perfekt und so schnell wie nur möglich. Ich hatte damals zu wenig und auch noch nicht ausreichend qualifiziertes Personal, an welches ich hätte delegieren können. Heute frage ich mich, ob ich denn wirklich delegiert hätte, wenn es anders gewesen wäre. Ich bezweifle es.

Starke Frauen – und übrigens auch Männer – sind sehr oft der Überzeugung, dass es ein Eingeständnis von Schwäche ist, wenn sie sich Hilfe nehmen. Anderen Menschen dagegen, gestehen sie problemlos zu, wenn diese Hilfe annehmen.

Was meine ich mit „Hilfe nehmen“? In diesem Blogartikel geht es um die Hilfe durch eine*n Coach.

Die Anruferin erklärte mir, dass ich ihr von einer Freundin empfohlen wurde die meinen Fernsehbeitrag gesehen hat. Sie selbst habe sich daraufhin meine Webseite angeschaut, die sie tatsächlich sehr angesprochen habe. Sie war sich darüber bewusst, dass es ihr wirklich nützen würde, wenn sie ein Coaching in Anspruch nehmen würde. Und gleichzeitig die großen Zweifel „wenn ich mir jetzt Hilfe nehme, ich, die doch Zeit meines Lebens immer alles alleine geschafft habe – ja dann ist es endgültig aus mit mir.“

Ich verstehe diese Angst, die sich zuerst im Kopf und dann im Körper ausbreitet, sehr gut. Es ist ein Gefühl von „ich verliere die Kontrolle (über mich)“.

Als ich über dieses Thema kürzlich in meinem Instagram-Profil in einem kurzen Video sprach, stellte ich meinen Followern die Frage: „Ist Hilfe annehmen eine Schwäche oder eine Stärke?“

Es schrieben fast nur Diejenigen in einem Kommentar, für die es eine Stärke ist. Eine Person sprach auch von Mut:

„Um Hilfe zu bitten zeugt von Mut und um mutig zu sein bedarf es einer gewissen inneren Stärke, auch wenn diese auf den ersten Blick nicht immer zu erkennen ist. Wenn man in der Lage ist Hilfe anzunehmen, kann man sich irgendwann auch besser selbst helfen.“

Die Kommentatorin beschreibt hier die innere Stärke. Die Stärke, die definitiv da ist. Die Stärke, von der diese Menschen glauben, dass sie sie ausmacht. Die Stärke, die sie bis hierher alles hat schaffen lassen. Dieselbe Stärke, die auch immer wieder zu uns spricht „Du schaffst das allein, du brauchst keine Hilfe!“

Haben starke Menschen immer Mut?

Man könnte annehmen: Ja! Denn hätten sie keinen Mut, dann wären sie doch nicht da, wo sie heute stehen. Wie in diesem Beispiel die leitende Führungskraft, die eine tolle Karriere hingelegt hat. Von außen betrachtet klingt das logisch. Doch was ist schon logisch wenn du dich im Hamsterrad befindest?

So gesehen war ich 2002 verdammt stark und keineswegs mutig:

Ich war der Meinung, dass ich alleine aus der Situation, in der ich mich befand, herausschaffe. Ich kümmerte mich nach dem Zusammenbruch und Berufsunfähigkeit um alles Logische im Außen:

Ich beantragte eine Umschulung, suchte mir einen neuen Beruf aus, schrieb Bewerbungen für einen Ausbildungsplatz, fand diesen und begann die Umschulung. Sechs Monate nach meinem Ausstieg. Wow – ich war wirklich stolz darauf, dass ich das alles so klar und so schnell auf den Weg gebracht habe. Meine Devise war: Augen zu und durch! Machen! Jammern bringt ja nichts!

Doch etwas war faul an der ganzen Sache

Im Außen war alles geregelt und im Innen war das gleiche Chaos wie zuvor. Ein stinkiger fauler Apfel auf einer wunderschönen grünen Wiese, ist immer noch ein fauler Apfel!

Hilfe annehmen - Schwäche oder Stärke?
Foto: © spaxiax | depositphotos.com

In diesen sechs Monaten puren Aktionismus gestand ich mir für einen kurzen Moment ein, dass es hilfreich wäre einen Therapeuten aufzusuchen – in erster Linie, damit ich die Berufsunfähigkeit anerkannt bekomme, die mein Hausarzt feststellte. Als ich in drei Sitzungen mit dem Therapeuten sprach merkte ich, wie Anspannung und Last von mir abfiel. Es tat so unglaublich gut mit jemandem darüber zu sprechen, der einfach nur zuhörte und gute Fragen stellte. Ich hatte das Gefühl, dass dieser Mensch mich versteht. Ich wollte mehr davon. Und dann bat er mich, von der Einzeltherapie in eine Gruppentherapie zu wechseln, denn er hatte keine Kapazität mehr für Einzelsitzungen. Und da waren sie wieder:

Gedanken über Schwäche.

Meine Gedanken redeten mir ein, dass ich niemals vor anderen darüber sprechen könnte, dass ich zusammengebrochen bin. Ich würde ja meine Schwäche eingestehen und wo würde das hinführen? Ich würde mein Gesicht verlieren… Ich entschied mich gegen die Therapie.

*Autsch*

Mit meinen Erfahrungen von heute würde ich die junge Sandra von damals liebevoll an die Hand nehmen und ihr verraten, was sie später erfahren durfte:

  • Der Weg zum Gesund werden war mühsam und lange.
  • Das Leben fühlte sich sehr anstrengend und schwer an.
  • Sie verstand nicht, was zum Burnout führte und lief immer wieder in die gleichen eigenen Fallen.
  • Sie lernte ca. 2008 eine Coach kennen, bekam ein Coaching geschenkt und war völlig verblüfft welche Türen sich öffneten, welche Themen klarer wurden und wie Last abfiel.
  • Erstmals spürte sie tief und echt: Hilfe annehmen ist wundervoll.

Nach und nach erlebte ich immer wieder – dann wenn ich Hilfe annahm – wie schnell sich Leichtigkeit und Klarheit einstellt, wenn ich glaubte mit dem Rücken an der Wand zu stehen. Über mehrere Jahre hinweg zeigte sich mir immer mehr, dass auch ich für andere Menschen da sein möchte, wenn sie nicht mehr weiterwissen – ob aus Stress oder anderen Herausforderungen, die das Leben so bereithält.

Heute weiß ich auch: Ich wäre eine schlechte Coach, wenn ich immer noch glauben würde, dass Hilfe annehmen eine Schwäche ist! Auch ich habe immer Coaches und Mentoren an meiner Seite und nutze Supervision.

In den ersten 18 Monaten meiner Selbständigkeit lief ich Gefahr, wieder einmal über meine Grenzen hinaus zu gehen. Und ich erinnere mich an einen Moment in dem sich tief in mir diese weise Stimme meldete: „Sandra, nimm dir Hilfe.“ Und dieses Mal sprach diese Stimme weiter: „Du musst das nicht alleine schaffen.“ Diese Stimme klang sanft und gütig.

Was du vielleicht noch nicht weißt

Wenn auch du dich in diesen Zeilen selbst erkannt hast, dann ist das für dich:

Es sind die starken Frauen und Männer, die alles geben und über ihre Grenzen hinausgehen.

Du bist eine starke Persönlichkeit. Du hast schon viel geleistet und möglicherweise bist du auch noch stark für Andere. Stark für Menschen die dir nahestehen.

Darf ich dir zeigen, was du möglicherweise nicht sehen kannst? Wenn ja, dann lies weiter:

Stark sein ist auch anstrengend.

Wir strengen uns möglicherweise schon Zeit unseres Lebens an.

  • Wir regeln alles.
  • Wir krempeln die Ärmel hoch und packen an.
  • Wir finden Lösungen für Probleme.
  • Herausforderungen nehmen wir an.
  • Wir unterstützen andere und stellen uns oftmals hinten an zum Wohl der anderen. Das können sowohl MitarbeiterInnen, Vorgesetzte, KollegenInnen als auch die eigene Familie sein – PartnerIn, Kinder, Eltern, …
  • Wir arbeiten auch dann, wenn wir krank sind oder genehmigen uns höchstens drei Tage zu Hause zu bleiben.
  • … es gibt noch mehr Bespiele dafür, dass du eine starke Person bist.

Und jetzt kommt es

DAS, was du bis hierhin in deinem Leben getan hast und dass du durchgehalten hast bedeutet, dass du verdammt resilient bist!
Du bist eine sehr wiederstandsfähige Person.
Das hat nichts mit Schwäche zu tun und mit dir ist auch alles in absoluter Ordnung.
Du bist weder zu schwach, noch kaputt und falls du denkst, dass mit dir etwas nicht stimmt, dann ist das falsch!

Mit dir ist alles in Ordnung. Du bist richtig genauso wie du bist.

Erinnerst du dich an den Kommentar meiner Followerin? Sie schrieb:

„Wenn man in der Lage ist Hilfe anzunehmen, kann man sich irgendwann auch besser selbst helfen.“

Ja genau. Nachdem du einen neutralen Blick von außen bekommst – auf dich und deine Situation, dann bist du auch sehr schnell wieder in der Lage, dich wirklich um dich zu kümmern. Mit einer frischen und klaren Sicht. Du findest zurück in deine Selbstbestimmtheit und das passiert meist viel schneller, als wir denken.

Du bist selbstbestimmt

„Du musst das nicht alleine schaffen!“ Diesen Hinweis erhielt ich aus meinem tiefen inneren Wissen. Das Ego ist da meistens ganz anderer Meinung und quatscht dazwischen. Ich habe gelernt auf MICH zu hören. Das Ego darf mitreden und das tut es auch. Heute weiß ich jedoch, welcher Stimme ich zu welchem Zeitpunkt mehr vertrauen darf.

Mit der Führungskraft telefonierte ich noch ein zweites Mal. Sie kämpft noch mit sich, ob sie wirklich ein Coaching buchen soll. Ego sagt „geht nicht“ und ihr Herz weiß, dass es gut für sie wäre. So (mit anderen Worten) hat sie es mir beschrieben. Und weil ich sie so gut verstehe, muss sie keine Entscheidung treffen. Sie wird ihre Entscheidung finden – dann, wenn die leise Stimme in ihr in den Vordergrund tritt. Dann ist für sie der richtige Zeitpunkt an dem sie weiß, was zu tun ist.

Herzliche Grüße

Sandra

PS: Manchmal schreiben mir Leser, dass sie sich beim Lesen einer meiner Blogartikel „ertappt“ gefühlt haben. Das ist ein guter Moment ein kostenloses Klarheitsgespräch zu buchen.

Dein Leben darf leicht sein.

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