Letzte Aktualisierung 22. Juli 2022

Denkst Du das machmal auch? Wer will schon traurig sein? Wenn Du gerade traurig bist, macht dich diese Frage hoffentlich nicht noch trauriger. Geht das überhaupt? Noch trauriger? Bist Du traurig, dann geht es dir schlecht. Du setzt dann bestimmt kein Maß, wie zum Beispiel: „Damals, als xyz passiert ist, da war ich noch viel trauriger, also ist das heute doch gar nicht so schlimm!“ Oder so ein Satz wie „Schlimmer geht immer!“ Traurig sein ist kein wünschenswerter Zustand. Man ist es einfach. Und weißt Du was? Es ist extrem wichtig, auch mal traurig zu sein.
Es wäre übertrieben, würde ich sagen „Ja – ICH will traurig sein!“ 

Traurigkeit hat mich lange Zeit durch mein Leben begleitet. Nein – nicht wegen einer Depression, das hatte viele andere Gründe. Es gab dann mal eine Zeit, in der ich diese Traurigkeit endlich mal loswerden wollte: „Weg damit! Ich will nicht mehr traurig sein, ich will glücklich sein!“ Du wirst es ahnen: Das funktioniert so aber nicht.

Und dann kam einer, der sagte zu mir:

„Sandra, was spricht dagegen, dass Du die Traurigkeit mal zulässt?“ Ich war sprachlos. Traurigkeit zulassen? Bisher fühlte sich dieser Gedanke eher so an wie „dann wird sie ja nur noch größer…“

Meine rationale Antwort war:

„Ja, wenn ich die Traurigkeit aber zulasse, dann ist der Tag gehalten. Dann weine ich den halben Tag und die ganze Arbeit bleibt liegen.“

Schon als ich diesen Satz zu Ende gesprochen hatte, spürte ich, dass da was falsch läuft. Mein Gegenüber fragte mich:

„Und wie läuft Dein Tag, wenn Du die Traurigkeit nicht zulässt und nicht weinst?“ Meine Antwort: „Beschissen! So richtig effektiv bin ich dann auch nicht, sondern schleppe mich irgendwie durch den Tag…“

Ich ließ meinen Satz wirken. Und irgendetwas in mir wurde leicht.

Ich sagte „Du meinst also, ich soll das einfach mal zulassen und weinen?“ „Das liegt an Dir, ob Du das tust.“ war die Antwort.

Von da an ließ ich die Traurigkeit und alle Tränen zu.

Warum erzähle ich Dir heute davon?

Sonntags klicke ich mich ganz gerne durch die Newsletter, die ich von diversen Internetseiten und auch von Kolleginnen und Kollegen abonniert habe. Heute habe ich zwei E-Mails gelesen, in denen die Traurigkeit das Thema war. „Verrückt!“ dachte ich und spürte in mir, wie sehr mich das Thema immer noch berührt.

In einem der Newsletter las ich eine Geschichte und die möchte ich heute mit Dir teilen.

Zuvor aber noch ein kleiner Impuls von mir an Dich:

Wie stark bist Du? Bist Du ein Mensch, der Emotionen sehr gut unterdrücken kann, der sich stets unter Kontrolle hat und Tränen runterschluckt? Hast Du gelernt, nicht zu zeigen, wie es Dir wirklich geht? Lächelst Du, obwohl es Dir zum Weinen ist? Drückst Du Deine Tränen sogar dann weg, wenn Du mit Dir alleine bist? Immer? Manchmal?

Vielleicht hast Du im Laufe Deines Lebens einen sogenannten „SEI-STARK-Antreiber“ entwickelt, der sich als Glaubenssatz oder Lebenskonzept manifestiert hat. Wer – unbewusst – immer nur stark sein will und stark ist, wird sich irgendwann nicht mehr frei fühlen. Dazu passt auch ganz gut mein Artikel „Du musst auch mal loslassen können“ in dem das mit den Antreibern näher erklärt ist.

Immer stark sein wollen, versetzt unseren Geist irgendwann in Stress. Wir dürfen alle auch Schwäche zulassen. Ein sehr weiser Mann sagte mal zu mir:

„Jede geweinte Träne führt Dich Stück für Stück zurück zu Deiner Freude.“

Ja! Genauso ist es! Seit ich Traurigkeit zulasse – auch dann, wenn ich sie gerade völlig unangemessen empfinde – begebe ich mich mehr und mehr zurück in Freude und Leichtigkeit.

Du kannst das auch.

Von Herzen – alles Liebe,

Sandra

PS:
Der „jemand“, der mich fragte, ob ich die Traurigkeit nicht mal zulassen möchte, war kein geringerer als mein persönlicher Coach. Was bin ich so dankbar, dass ich ihn an meiner Seite habe, wenn ich ihn brauche!

Und hier ist die Geschichte, die ich mit Dir teilen möchte:

Das Märchen von der traurigen Traurigkeit

Es war eine kleine alte Frau, die bei der zusammengekauerten Gestalt am Straßenrand stehen blieb. Das heißt, die Gestalt war eher körperlos, erinnerte an eine graue Flanelldecke mit menschlichen Konturen.

„Wer bist du?“ fragte die kleine Frau neugierig und bückte sich ein wenig hinunter. Zwei lichtlose Augen blickten müde auf. „Ich … ich bin die Traurigkeit“, flüsterte eine Stimme so leise, dass die kleine Frau Mühe hatte, sie zu verstehen.

„Ach, die Traurigkeit“, rief sie erfreut aus, fast als würde sie eine alte Bekannte begrüßen.

„Kennst du mich denn“, fragte die Traurigkeit misstrauisch.

„Natürlich kenne ich dich“, antwortete die alte Frau, „immer wieder einmal hast du mich ein Stück des Weges begleitet.“

„Ja, aber …“ argwöhnte die Traurigkeit, „warum flüchtest du nicht vor mir, hast du denn keine Angst?“

„Oh, warum sollte ich vor dir davonlaufen, meine Liebe? Du weißt doch selber nur zu gut, dass du jeden Flüchtigen einholst und dich so nicht vertreiben lässt. Aber, was ich dich fragen will, du siehst – verzeih diese absurde Feststellung – du siehst so traurig aus?“

„Ich … ich bin traurig“, antwortete die graue Gestalt mit brüchiger Stimme.

Die kleine alte Frau setzte sich jetzt auch an den Straßenrand. „So, traurig bist du“, wiederholte sie und nickte verständnisvoll mit dem Kopf. „Magst du mir erzählen, warum du so bekümmert bist?“

Die Traurigkeit seufzte tief auf. Sollte ihr diesmal wirklich jemand zuhören wollen? Wie oft hatte sie vergebens versucht und …

„Ach, weißt du“, begann sie zögernd und tief verwundert, „es ist so, dass mich offensichtlich niemand mag. Es ist meine Bestimmung, unter die Menschen zu gehen und eine Zeitlang bei ihnen zu verweilen. Bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger. Aber fast alle reagieren so, als wäre ich die Pest. Sie haben so viele Mechanismen für sich entwickelt, meine Anwesenheit zu leugnen.“

„Da hast du sicher Recht“, warf die alte Frau ein. „Aber erzähle mir ein wenig davon.“

Die Traurigkeit fuhr fort: „Sie haben Sätze erfunden, an deren Schutzschild ich abprallen soll.

Sie sagen „Papperlapapp – das Leben ist heiter“, und ihr falsches Lachen macht ihnen Magengeschwüre und Atemnot.

Sie sagen „Gelobt sei, was hart macht“, und dann haben sie Herzschmerzen.

Sie sagen „Man muss sich nur zusammenreißen“ und spüren das Reißen in den Schultern und im Rücken.

Sie sagen „Weinen ist nur für Schwächlinge“, und die aufgestauten Tränen sprengen fast ihre Köpfe.

Oder aber sie betäuben sich mit Alkohol und Drogen, damit sie mich nicht spüren müssen.“

„Oh ja“, bestätigte die alte Frau, „solche Menschen sind mir oft in meinem Leben begegnet. Aber eigentlich willst du ihnen ja mit deiner Anwesenheit helfen, nicht wahr?“

Die Traurigkeit kroch noch ein wenig mehr in sich zusammen. „Ja, das will ich“, sagte sie schlicht, „aber helfen kann ich nur, wenn die Menschen mich zulassen. Weißt du, indem ich versuche, ihnen ein Stück Raum zu schaffen zwischen sich und der Welt, eine Spanne Zeit, um sich selbst zu begegnen, will ich ihnen ein Nest bauen, in das sie sich fallen lassen können, um ihre Wunden zu pflegen.

Wer traurig ist, ist ganz dünnhäutig und damit nahe bei sich.

Diese Begegnung kann sehr schmerzvoll sein, weil manches Leid durch die Erinnerung wieder aufbricht wie eine schlecht verheilte Wunde. Aber nur, wer den Schmerz zulässt, wer erlebtes Leid betrauern kann, wer das Kind in sich aufspürt und all die verschluckten Tränen leerweinen lässt, wer sich Mitleid für die inneren Verletzungen zugesteht, der, verstehst du, nur der hat die Chance, dass seine Wunden wirklich heilen.

Stattdessen schminken sie sich ein grelles Lachen über die groben Narben. Oder verhärten sich mit einem Panzer aus Bitterkeit.“

Jetzt schwieg die Traurigkeit, und ihr Weinen war tief und verzweifelt.

Die kleine alte Frau nahm die zusammengekauerte Gestalt tröstend in den Arm. „Wie weich und sanft sie sich anfühlt“, dachte sie und streichelte zärtlich das zitternde Bündel. „Weine nur, Traurigkeit“, flüsterte sie liebevoll, „ruh dich aus, damit du wieder Kraft sammeln kannst. Ich weiß, dass dich viele Menschen ablehnen und verleugnen. Aber ich weiß auch, dass schon einige bereit sind für dich. Und glaube mir, es werden immer mehr, die begreifen, dass du ihnen Befreiung ermöglichst aus ihren inneren Gefängnissen. Von nun an werde ich dich begleiten, damit die Mutlosigkeit keine Macht gewinnt.“

Die Traurigkeit hatte aufgehört zu weinen. Sie richtete sich auf und betrachtete verwundert ihre Gefährtin.

„Aber jetzt sage mir, wer bist du eigentlich?“

„Ich“, antwortete die kleine alte Frau und lächelte still. „Ich bin die Hoffnung!“

© Inge Wuthe

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Herzliche Grüße

Sandra

Dein Leben darf leicht sein.

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